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Value versus Growth „Anleger sollten ihre Portfolios stärker in Richtung Value ausbalancieren“

Paul Quinsee, Aktienchef bei J.P. Morgan Asset Management
Paul Quinsee, Aktienchef bei J.P. Morgan Asset Management: „Anleger sollten den Value-Unternehmen, die jetzt von der Erholung profitieren, wieder einen Platz im Portfolio einräumen | Foto: J.P. Morgan Asset Management

Herr Quinsee, Sie treffen sich einmal im Quartal mit allen Portfoliomanagern von J.P. Morgan Asset Management zu einem Strategiegipfel. Welche Themen standen zuletzt im Fokus?

Paul Quinsee: Bei diesen Treffen werden tatsächlich alle Ideen und Insights der verschiedenen Portfoliomanager für die unterschiedlichen Regionen und Strategien diskutiert. Wichtig ist, dass es dabei nicht „die eine“ Sicht gibt, sondern dass jeder seine Meinung teilen und damit die anderen inspirieren kann. Eine wichtige Erkenntnis: Die Ertragserwartungen sind bei den meisten nur noch durchschnittlich oder sogar leicht unter dem Durchschnitt, weil die Märkte bereits weit gelaufen sind. Allerdings sehen sie die Erholung der Unternehmensgewinne weiterhin als überdurchschnittlich gut an – sowohl was die Stärke als auch den Umfang angeht.

Nachdem sich die Märkte in den vergangenen 18 Monaten so dramatisch verändert haben wie selten zuvor, sind die Bewertungen insgesamt höher als ihr historischer Durchschnitt. Einige Marktsegmente wie Wachstumsunternehmen scheinen inzwischen kostspielig, diese sollten Anleger mit Vorsicht betrachten. Doch das gilt nicht für den gesamten Markt. Daher ist es wichtig zu selektieren. Gerade bei den Unternehmen, die von der Pandemie besonders betroffen waren – Banken, Zykliker, Industriewerte und Reiseunternehmen – findet weiterhin eine Erholung statt, die noch lange nicht ihr Ende erreicht hat und weiterhin gute Chancen bietet.

Wir haben vom letzten Strategiegipfel zwei wichtige Botschaften für Anleger zu verkünden: Erstens sind Aktien immer noch eine wichtige Anlageklasse, aber jetzt ist es nicht mehr die Zeit, die Allokation massiv auszubauen, sondern eher selektiv anzupassen. Zweitens sollten Anleger versuchen, innerhalb ihrer Allokation neben dem, was die vergangenen zehn Jahre funktioniert hat – also den immer größer werdenden technologiegetriebenen Wachstumsunternehmen – auch den Value-Unternehmen, die jetzt von der Erholung profitieren, wieder einen Platz im Portfolio einzuräumen.

Wo sehen Sie Chancen bei Bewertungen und Unternehmensergebnissen?

Quinsee: Dank der starken Erholung weltweit sehen die Unternehmensgewinne aktuell beeindruckend aus. Allein die US-Unternehmen im S&P 500 haben ihr Ergebnis im ersten Quartal durchschnittlich um 12 Prozent steigern können – das ist besser als in der ganzen letzten Dekade. Damit nicht genug: Für das zweite Quartal sehen die ersten veröffentlichten Zahlen noch besser aus. Auch die Gewinne sind um rund 50 Prozent angestiegen, was eine extrem starke Erholung anzeigt.

Das ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil wir uns im vergangenen Jahr noch gefragt haben, wie schnell die Unternehmen die Auswirkungen der Pandemie in ihren Gewinnen ausgleichen können. Bereits ein Jahr später liegen die Gewinne sogar 10 Prozent höher als vor der Krise. Das ist eine gelungene Überraschung. So haben wir unseren Gewinnausblick für 2021 bereits um 200 Milliarden US-Dollar angehoben. Dieses enorme Momentum im Unternehmenssektor verbunden mit den anhaltenden Unterstützungsprogrammen und der weiterhin lockeren Zentralbankpolitik stimmt unseren Ausblick auch für das zweite Halbjahr 2021 und das Jahr 2022 optimistisch.

Die Bewertungen sehen zwar in einigen Marktsegmenten in den USA überreizt aus, aber sie sagen sehr wenig über das kurzfristige Ertragspotenzial aus – sie sind eher für die fünf- oder zehnjährigen Ertragsaussichten relevant. In den USA sind sie vor allem durch das Wachstum der Tech-Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren getrieben. Heute handeln die am stärksten wachsenden Unternehmen mit den besten Ertragsaussichten zum 38-fachen KGV, während der Durchschnitt beim 22-fachen liegt. Solch eine große Lücke gab es zuletzt während der Technologieblase um die Jahrtausendwende. Die unterbewerteten Substanzwerte haben wiederum ein KGV von 11. Es sind also nicht alle Unternehmen so hoch bewertet, sondern nur ein bestimmter Teil des Marktes.

Und natürlich gibt es dabei auch ein gewisses spekulatives Element: Anleger erwarten von diesen Wachstumsunternehmen, dass sie Gewinne machen, selbst wenn sie das noch nie unter Beweis stellen konnten. Es gibt rund 200 Large-Cap-Unternehmen, die nicht profitabel für ihre Aktionäre sind. Davon stammt die Hälfte aus den Bereichen Software und Biotechnologie und ebenso ist rund die Hälfte in den USA beheimatet. Diese Unternehmen haben im vergangenen Jahr 68 Prozent outperformed – es gibt also viel Optimismus über ihre zukünftige Ertragskraft im Markt, auch wenn dies nicht in jedem Fall gerechtfertigt ist. So mögen einige Erwartungen enttäuscht werden – darüber sollte man sich bei der Aktienallokation bewusst sein.

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 Welche Branchen können jetzt überzeugen?

Quinsee: Über die letzten Jahrzehnte haben sich gerade im Bereich der Technologie die Marktführer immer wieder verändert. Und so kann es sich lohnen, statt auf die aktuellen Platzhirsche lieber auf die Unternehmen der Zukunft zu setzen. Denn auch wenn die Nachfrage der Konsumenten dank der massiven Erholung weiterhin stark bleiben sollte, müssen die sehr erfolgreichen Unternehmen ihr Wachstum auf einem sehr hohen Niveau fortsetzen. Aber es gibt eben auch andere Marktsegmente, die günstiger sind und auf dynamischeres Wachstum hindeuten. Wir sehen beispielsweise viel Potenzial für das Thema Cloud-Computing, das in vielen Technologiebudgets bisher rund 20 Prozent ausmacht und in absehbarer Zukunft auf 50 Prozent steigen sollte. Auch Trendthemen wie neue Segmente des Online-Handels oder Streaming-Dienste sehen wir als langfristige Wachstumstrends an, die noch am Anfang ihrer Entwicklung stehen.

Ein anderes Thema, das Anlegern unter den Nägeln brennt, sind die Substanzwerte. Ist die aktuelle Value-Rally nachhaltig?

Quinsee: Der Value-Stil war tatsächlich sehr lange wenig erfolgreich, weshalb viele Anleger in dieser Strategie untergewichtet sind und ihre Portfolios eher auf Growth ausgerichtet haben. Aber auch die Unternehmen, die langsamer wachsen, können Profit für Investoren erwirtschaften. Wir sehen das aktuelle Umfeld als eine gute Gelegenheit, sich wieder den Value-Titeln zuzuwenden. Denn: Historisch waren Zeiten hoher Inflation unterstützend für Substanzwerte.

Anleger sollen nicht glauben, dass sie zu spät dran sind. Auch wenn sich die Bewertungslücke zwischen Value und Growth wieder etwas geschlossen hat, ist sie immer noch sehr weit. Angesichts der zu erwartenden Gewinnsteigerungen sollten sich Investoren etwas optimistischer zeigen, und ihre Portfolios wieder etwas stärker in die Value-Richtung ausbalancieren.

Sollten Aktienanleger die Inflation als Risiko oder als Chance sehen?

Quinsee: Das, was wir gerade erleben, sieht sicherlich anders aus, als das Umfeld der vergangenen zehn bis 15 Jahre. Als Investoren sehen wir derzeit in den USA einiges an Kostendruck auf die Unternehmen zukommen – nicht nur bei den Rohstoffen, sondern auch bei den Löhnen. Gerade im Niedriglohnsektor ist es eine Herausforderung, die Stellen zu besetzen.

Doch das ist eher ein gesamtökonomischer Faktor für die Wirtschaft und bedeutet nicht unbedingt Gewinneinbußen für die Unternehmen – die höheren Kosten konnten bisher an die Konsumenten weitergegeben werden. Anleger sollten sich vielmehr bewusst machen, dass die Zeiten niedriger Zinsen in den USA endlich sind und was das für Unternehmen – gerade Value-Unternehmen – bedeuten könnte.

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