Karl Pilny im Interview „Das Dreieck China, Korea und Japan ist eins der spannendsten der Weltwirtschaft“
Welche Branchen und Bereiche und welche Unternehmen siehst du da? Sind es die großen bekannten koreanischen Marken, die dann nochmal Potenzial ausschöpfen, oder entsteht auch etwas Neues?
Pilny: Man muss festhalten, dass entlang der Demarkationsgrenze schon diverse Industrieparks entstanden sind in den vergangenen Jahren. Kaesong zum Beispiel, wo übrigens auch westliche Unternehmen durchaus gute Geschäfte gemacht haben, weil sie kostengünstig mit sehr motivierten und talentierten nordkoreanischen Arbeitern produzieren konnten.
Also gibt es Kooperation zwischen Nord- und Südkorea?
Pilny: Ja, das hat sogar sehr stark zugenommen – bis vor fünf Jahren. Der wichtigste Industriepark war der eben angesprochene Kaesong. Der ist aber geschlossen worden vor vier oder fünf Jahren im Zuge der wachsenden Spannungen. Es gab die berühmte Sonnenschein-Politik in Südkorea. Die hat dazu geführt, dass neben Kaesong noch weitere Parks an der Demarkationsgrenze in Betrieb genommen wurden.
Dann wurde es wieder sehr schnell unappetitlich. Einerseits waren die Industrieparks ein wichtiger Devisenbeschaffer für die Nomenklatura und die Führungsschicht in Nordkorea. Dann hat das Militär mitgemischt und es wurde auf einmal wieder sehr unübersichtlich. Es gab einen Onkel von Kim Jong Un, der stark involviert war. Dann wurde kolportiert, er habe sich selber die Taschen gefüllt. Er wurde hingerichtet. Das waren so die üblichen Korruptionssachen.
Aber ja, da gab es großes Potenzial und sogar erste zaghafte Zeichen der Versöhnung. Besuch über die Grenze wurden erlaubt. Es gab ein gemeinsames Tourismusgebiet. Wenn das weiter so gegangen wäre, dann wäre ein enormes Potenzial dagewesen für die bekannten südkoreanischen Konzerne wie LG, Samsung und so weiter. Die haben damals schon stark davon profitiert und es fand auch Know-how-Transfer statt. Ich gehe sogar so weit und sage, das müsste man eigentlich alles nur wieder reaktivieren. Weil unter der Erde – und das meine ich sogar ganz wörtlich – sind die Pflanzen und Wurzeln der Kooperation schon ziemlich dicht.
Das meine ich deswegen wörtlich, weil es mehrere hunderte Kilometer Stollen und Tunnel unter der Demarkationsgrenze gibt. Man darf nicht vergessen: Die südkoreanische Hauptstadt ist ja gerade mal 25 Kilometer von der Grenze entfernt und es gab zum Beispiel in kriegerischen Phasen, wo die Stimmung schlechter war, immer wieder nordkoreanische Einsatzgruppen, die dann mitten in Seoul hoch gekommen sind, um sich geschossen haben und wieder verschwunden sind. So weit haben die Tunnelsysteme gereicht.
Es gab Spezialeinheiten der nordkoreanischen Armee, die sogenannten Tunnelratten. Die waren schon zu Zeiten, als es noch keine Nachtsichtgeräte gab, darauf trainiert, kilometerweit in den stockfinsteren Tunneln zu kämpfen.
Das ganze Gebiet ist mit kilometerweiten Tunnelsystemen untergraben. Das ist, finde ich, ein schönes Symbol für das Wurzelwerk unter der künstlichen Demarkationsgrenze, das zeigt: Letztendlich ist es ein Land.
Gibt es viele Flüchtlinge, die über die Tunnelsysteme kommen?
Pilny: Es gibt immer wieder viele Flüchtlinge, die aber meistens übers Land kommen. Über den Fluss Yalu zum Beispiel. Die werden in Südkorea aufgenommen und geben dann oft Interviews. Also ja: Es gibt immer wieder zahlreiche Fluchtversuche und erfolgreiche Fluchten. Aber es ist natürlich eine sehr komplexe Lage. Der Norden schleust sehr geschickt immer wieder Spione mit ein. Das Thema Nord- und Südkorea ist gerade für uns Deutsche extrem spannend. Überhaupt denkt Korea sehr positiv von Deutschland.
Wenn ich mir die großen koreanischen Unternehmen wie LG, Samsung oder Hyundai anschaue: Das sind Weltmarken. Gibt es dort kleinere neue Unternehmen? Gibt es da ein kleines Silicon Valley?
Pilny: Ganz Ostasien zeichnet sich aus durch ein enges Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft. Das habe ich schon in den 1980er-Jahren in Japan erlebt, wo strategisch wichtige Industrien vorgegeben und staatlich gefördert wurden. Das hat sehr viel Innovation und Research in Schwerpunktthemen gebracht und ist in Südkorea auch nicht anders.
Samsung ist ein gigantisches Unternehmen und steht ja schon für ein Drittel des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Die haben viele innovative Töchter in den Bereichen Batteriezellen oder neueste Wasserstofffusionstechnologie. Jeder der großen Player in Korea hat zahlreiche separate Sparten, wo unheimlich viel Innovation stattfindet. Die wird, wenn es opportun ist, zum Teil auch ausgegliedert und separat an die Börse gebracht.
Im direkten Vergleich mit Japan ist das Forschungsumfeld in Korea aggressiver, offensiver und agiler. Der Ertrag an Patenten und Wertschöpfung sowie Innovation ist vergleichsweise viel größer als in Japan.