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Experten-Gespräch zu überhitztem Aktienhandel, verzerrten Börsen und Robo-Lösungen „Ich bin kein Sklave der Märkte“

Acatis-Gründer Dr. Hendrik Leber: „Trends gibt es auf den heutigen Märkten nicht mehr.“
Acatis-Gründer Dr. Hendrik Leber: „Trends gibt es auf den heutigen Märkten nicht mehr.“

der fonds: Sie haben wiederholt geäußert, dass Börsen zunehmend unberechenbarer, extremer und ungeduldiger werden. Was meinen sie damit genau?

Hendrik Leber: Die Märkte verhalten sich in der Tat sehr merkwürdig. Fakten und Vernunft spielen dort oft keine Rolle mehr. Wertpapierkurse sind häufig verzerrt und kurzlebig.

Was verursacht diese Verzerrungen?

Leber: Es gibt zwei Faktoren. Der erste ist das mittlerweile sehr verbreitete Index-Investieren. Es lässt sich anhand der Geschichte „Schokolade auf Reisen“ von Ephraim Kishon sehr schön veranschaulichen: Eine in Zellophan verpackte Pralinenschachtel wird immer wieder verschenkt. Irgendwann kommt sie wieder beim ursprünglichen Schenker an. Er schaut hinein, und die Pralinen sind vollkommen verschimmelt. Ähnlich ist es beim Index-Investieren. Anleger kaufen einen Indexfonds, aber nur die wenigsten wissen, welche Titel darin enthalten sind. Oft bestehen Indizes nur aus Unternehmen einer bestimmten Größe – unabhängig davon, ob es sich um die besten ihrer Branche handelt. Das führt zu Pauschalierungen und Wettbewerbsverzerrungen, weil bestimmte Firmen bevorzugt werden. So werden Kurse künstlich in die Höhe getrieben – und umgekehrt.

Indexfonds können auch schnell gehandelt werden.

Leber: Ja, stimmt. In einer Welt, in der Menschen hysterisch handeln, verursacht das ungeheure Kursschwankungen. Anleger denken, die Welt sei unsicher, und treffen voreilige Verkaufsentscheidungen. Es ist leicht und billig geworden, ganze Märkte zu verkaufen. Eine derartige Verhaltensweise verschlechtert aber die Bedingungen an den Kapitalmärkten und hat mit Investieren nichts zu tun.

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Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für die übereilten Käufe und Verkäufe von Aktien durch Investoren?

Leber: Manche Investoren kaufen Firmenaktien nicht deswegen, weil diese Firma gut ist und Gewinne erwirtschaften wird. Sie kaufen sie in der Erwartung, dass die Nachfrage nach ihren Aktien steigen wird und damit der Aktienkurs. Man setzt im Prinzip auf den Gewinner des Schönheitswettbewerbs und nicht auf den Kandidaten, der einem selbst am besten gefällt.

Das hört sich fast so an wie die Meldungen über die Kursbewegungen an den Aktienmärkten im Vorfeld von Zinsentscheidungen der Notenbanken.

Leber: Genau der Fall ist es auch. Die zentrale Frage ist nicht, ob Janet Yellen, Mario Draghi oder Haruko Kuroda die Geldpolitik lockern oder nicht. Es geht darum, ob die Erwartung der Lockerung übertroffen wird von dem, was die Notenbanker tatsächlich tun. Es geht um die Erwartung der Erwartung der Erwartung – und das ist absurd. Anleger sollten innehalten und nachdenken. Denn in solchen Fällen ist es im Grunde egal, was im Moment von der Federal Reserve erwartet wird und ob sie ihre Versprechen erfüllt. Fest steht: Die Zinsen sind zu niedrig und werden es noch lange bleiben.

Abgesehen von Index-Investments – was verzerrt die Börsen noch?

Leber: Die Verzerrungen werden auch durch den Automatisierungs-Trend hervorgerufen. Roboter durchforsten Texte, finden Stichworte und geben Befehle zum Kauf oder Verkauf. Ihre Entscheidungen sind nicht durchdacht. Nehmen wir das Beispiel des Nürnberger Kabelherstellers Leoni. Als bekannt wurde, dass das Unternehmen Betrügern zum Opfer gefallen ist und einen Verlust von vierzig Millionen Euro erlitten hat, fiel die Aktie innerhalb von dreißig Sekunden um zehn Prozent. In der Zeit konnte ich die Nachrichten zu dem Vorfall noch gar nicht lesen. Die Börse hat aber bereits darauf reagiert. Der Kurs der Leoni-Aktie fiel so schnell, dass Menschen keine Chance hatten, die Ereignisse nachzuvollziehen.

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