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Probleme bei Evergrande Finanzkrise in China? Von wegen!

Yoga-Übungen im Freien
Yoga-Übungen im Freien: Die aktuellen Kurskapriolen in China können Anlegern Einstiegsmöglichkeiten bieten | Foto: Imago Images / VCG

In diesem Jahr mussten Chinas Anleger bereits zahlreiche Hiobsbotschaften verkraften: Staatliche Regulierungsmaßnahmen und eine nachlassende Dynamik im Wirtschaftswachstum schickten die Aktienkurse bereits auf Talfahrt. Der MSCI China etwa hat von seinem Allzeithoch bis Ende September knapp 30 Prozent an Wert verloren.

In diesem Umfeld schürten Nachrichten über die finanziellen Probleme von Evergrande, einem der größten Bauträger des Landes, die Angst vor einer tiefgreifenden Finanzkrise im Reich der Mitte. „Mehrere Gründe sprechen allerdings dagegen, dass sich aus der Evergrande-Krise eine Finanzkrise entwickeln könnte“, sagt Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan AM. Anleger müssten sich jedoch darauf einstellen, dass die Unruhe am chinesischen Aktienmarkt in den kommenden Monaten weiter anhalten könnte.

Übertreibungen am chinesischen Immobilienmarkt

Galler betont, dass „das rasante Wachstum des chinesischen Immobilienmarktes schon seit einigen Jahren den Argwohn von Investoren befördert.“ Die jährlichen Investitionen der vergangenen zehn Jahre in den Wohnungsbau beliefen sich durchschnittlich auf knapp zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im Vergleich dazu lag das Investitionsniveau der USA am Höhepunkt der Immobilienblase im Jahre 2005 bei 6 Prozent.

Was das Preisniveau betrifft, gehören chinesische Städte mit zu den teuersten der Welt: Der durchschnittliche Wohnungspreis in Shanghai beträgt etwa das 33-fache des jährlichen verfügbaren Median-Familieneinkommens – während das Preis-Einkommensverhältnis hierzulande in München beim 15-fachen liegt. Dies sei jedoch nur relativ zu betrachten, so Galler, da die Steigerungsraten des verfügbaren Einkommens in China mit mehr als acht Prozent pro Jahr um einiges höher sind als die der Bundesrepublik.

Die Folge: Schärfere Regulierung und restriktivere Kreditvergaben

Die Entwicklungen und Übertreibungen am Immobilienmarkt haben die Regierung in Peking demnach dazu bewogen, dem Sektor die regulatorischen Zügel anzulegen, um die wachsende Verschuldung auszubremsen. „Seit Jahresanfang haben zusätzlich die Banken die expansive Kreditvergabe zur Bekämpfung der Pandemie beendet, um die zukünftige makroökonomische Stabilität Chinas nicht zu gefährden. Die Notwendigkeit, Verbindlichkeiten zu verringern, verbunden mit einem Mangel an Refinanzierungsmöglichkeiten, haben vor allem den Bauträger Evergrande mit Gesamtverbindlichkeiten von 300 Milliarden US-Dollar in ernste Schwierigkeiten gebracht“, so Galler.

Selbst wenn die absolute Zahl der Verbindlichkeiten zunächst hoch erscheint, ist sie aus Sicht von Galler im Verhältnis zum BIP Chinas relativ gering. Ähnlich sei dies auch im Verhältnis zu den ausstehenden Krediten der Banken im Volumen von 30 Billionen US-Dollar. „Isoliert betrachtet ist bei einem Zusammenbruch von Evergrande der Schock für das Finanzsystem deshalb eher moderat. Die Risikolage ist aber eine andere, sollte sich die Krise auf den ganzen Sektor ausbreiten. Dann könnte die Höhe der Verbindlichkeiten der gesamten Bauträgerbranche von 39 Prozent des BIP eine Finanzkrise auslösen“, sagt Galler.

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Evergrande kein zweites Lehman

„Ist Evergrande ein Lehman-Ereignis? Wir zweifeln ernsthaft daran“, kommentieren etwa die Analysten des skandinavischen Finanzkonzerns Nordea. Nicht zuletzt, da Evergrande nicht für die Branche repräsentativ sei: „Das Immobilienunternehmen spielt für Chinas Wirtschaft keine so große Rolle, wie es auf den ersten Blick erscheint. Der Konzern hat einen Marktanteil von 4 Prozent im Immobiliensektor. Der Sektor selbst stemmt nur 14 Prozent der chinesischen Wirtschaft“, erklärt China-Experte Frank Sieren.

Allerdings lässt sich feststellen, dass neben Evergrande „kaum ein anderes Unternehmen in den vergangenen Jahren so aggressiv expandiert hat und damit so risikoreich agierte. Die Verbindlichkeiten sind von 2010 bis 2020 um das 25-fache gestiegen. In der Branche der Bauträger insgesamt hingegen nur um das 6-fache“, sagt Galler.

Dennoch ist „Evergrande nicht wie Lehman Brothers. Es ist kein Finanzinstitut und nicht so stark global vernetzt“, betont Christian Wildmann, Fondsmanager bei Union Investment. Hinzu komme, dass „die privaten Haushalte in China nicht so hoch verschuldet sind wie die Amerikaner 2008. Bis vor wenigen Jahren bezahlten die Chinesen ihre Immobilien noch überwiegend mit Eigenkapital, nahezu ohne Hypotheken dafür aufzunehmen“, ergänzt der Finanzexperte.

Dieser Meinung schließt sich der Sinologe Bill Bishop in seinem renommierten Newsletter an: „Ich glaube nicht, dass es Chinas ‚Lehman-Moment‘ ist, aber die Lage ist hässlich und wird noch hässlicher werden“. Er glaube nicht an eine systemische Finanzkrise innerhalb der Volksrepublik, sehr wohl aber an eine starke Verlangsamung des Wirtschaftswachstums.

Ebenso beschwichtigen die Experten der Commerzbank, dass „die Wahrscheinlichkeit einer ausgewachsenen systemischen Finanzkrise Chinas, wie seinerzeit Lehman, sehr gering ist.“ Im Zweifelsfall dürfte „die Regierung einen finanziellen Schutzwall um die angeschlagenen Immobilienentwickler errichten, um im Fall von einer Pleite die negativen Folgen für betroffene Wohnungskäufer, Bau- und Handwerksunternehmen und Banken zu verringern und damit eine ‚harte Landung‘ zu verhindern“, sagt Kapitalmarktstratege Tilmann Galler.

Wann einsteigen?

Für Anleger stehen allerdings weiterhin schwankungsreiche Zeiten an: „Bis sich die Lage in diesem für die chinesische Wirtschaft so wichtigen Sektor wieder beruhigt hat, dürfte in den kommenden Monaten noch die eine oder andere unerfreuliche Nachricht für Unruhe an den Aktienmärkten sorgen. Doch auch wenn der ökonomische Riese China momentan wankt – fallen wird er nach unserer Ansicht nicht“, meint Galler.

Damit hätten nach den Kursverlusten der vergangenen Monate chinesische Aktien wieder an Attraktivität gewonnen. „Dass Immobilienkrisen für Anleger auch gute Einstiegszeitpunkte sein können, hat uns schon die Finanzkrise 2008 gezeigt. Die langfristigen strukturellen Treiber des asiatischen Jahrzehnts, wie etwa die stark wachsende Mittelschicht, aber auch das Etablieren regionaler Freihandelszonen, bleiben weiterhin ungebrochen“, so das Fazit des Kapitalmarktexperten.

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