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Halbleitermangel Gehen der Welt die Chips aus?

International Semiconductor Expo in Shanghai
International Semiconductor Expo in Shanghai: Der wachsende Kapitalbedarf entlang der gesamten Wertschöpfungskette bietet interessante Investmentchancen | Foto: IMAGO / VCG

Für viele ist der Halbleitermangel lediglich ein vorübergehendes Phänomen. Durch die zahlreichen Mitarbeiter im Homeoffice besteht eine hohe Nachfrage nach Computern und die Automobilindustrie bereitet sich auf den Neustart der Wirtschaft vor. Gleichzeitig ist das Angebot knapp, weil die Industriearbeiter noch immer unter Pandemiebedingungen arbeiten oder, wie in Asien, von neuen Einschränkungen beispielsweise durch die Dürre in Taiwan betroffen sind. Aber sind das wirklich die einzigen Gründe für den aktuellen Chipmangel?

„All das ist nicht falsch, aber vermutlich nur die halbe Wahrheit“, sagt Yan Taw Boon, Director Research Asia bei Neuberger Berman. Denn: Die Branche ändert sich grundlegend. Statt ausgewählter Sektoren brauchen mittlerweile fast alle Branchen Halbleiter. Und statt der Konjunktur treiben zunehmend auch strukturelle Veränderungen die Nachfrage. Die Preismacht der Anbieter ist größer denn je, und entlang der gesamten Wertschöpfungskette für Chips ist der Kapitalbedarf enorm.

Finanzielle und strategische Schwerpunkte

„Am lautesten klagt die Automobilindustrie, da die Halbleiterknappheit für Produktionsstopps sorgt“, erläutert Boon. Autohersteller brauchen eher klassische Chips statt der Hochleistungshalbleiter, die in Mobiltelefonen und Smart Devices verbaut werden. Dennoch haben sich Entwicklung und Investitionen in den vergangenen Jahren auf Hochleistungschips konzentriert, sodass die Produktionskapazitäten für Automobilchips weitestgehend veralten und abnehmen.

Mit anderen Worten: „Das eigentliche Problem ist nicht, dass Automobilhersteller keine Chips bekommen. Weitaus schwerwiegender ist, dass die Chiphersteller den Bedarf an Hochleistungstechnologie nicht decken können, obwohl sie auf diesen Bereich einen klaren finanziellen und strategischen Schwerpunkt setzen“, erklärt Boon.

Dadurch wird deutlich, wie schnell der Bedarf an Halbleitern in unseren Geräten wächst. Smart Devices werden noch smarter – und selbst technische Geräte wie Fernseher oder Kühlschrank gehören immer öfter zu dieser Kategorie.

Eine vernetzte Welt

Mit jeder neuen Generation oder jedem neuen technologischen Meilenstein wächst die Zahl der Transistoren pro Gerät und damit die Rechenkraft der Chips. „Jeder Fortschritt erfordert mehr Forschung und Entwicklung, Kapital, Rohstoffe, Ingenieurskunst und letztlich Zeit – im Schnitt zwischen zwölf und 18 Monate“, sagt Boon. Deshalb können Halbleiterhersteller nicht einfach einen Hebel umlegen, um die Nachfrage der Hersteller nach modernster Technologie zu befriedigen.

In einer zunehmend digitalen und vernetzten Welt führt das zu sich gegenseitig verstärkenden Rückkopplungen: Jede neue Technologie ermöglicht Innovationen und neue Anwendungen. Das lässt wiederum die Nachfrage nach Chips steigen und bringt die Entwicklung neuer Technologien weiter voran.

„Da überrasche es nicht, dass die Kapitalaufwendungen des weltgrößten Chipherstellers TSMC aus Taiwan dieses Jahr wohl um mehr als 50 Prozent steigen werden“, erklärt Boon. Über den Verlauf der kommenden drei Jahre könne mit Investitionen von rund 100 Milliarden US-Dollar gerechnet werden.

Nationale Sicherheit

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Doch während in immer mehr Geräten immer höher entwickelte Halbleiter verbaut werden, sorgen sich viele Regierungen mehr und mehr um ihre Halbleiter-Lieferketten. „Wenn die Produktivität der Industrie nur mit der neuesten Technik in Büros, Fabriken und Lagern gesteigert werden kann, ist ein ausreichender Zugang zu Halbleitern wichtig für die wirtschaftliche Sicherheit eines Landes“, sagt Boon. Und wenn dann noch fast jedes Gerät zu einem Kommunikationsgerät werde, handelt es sich potenziell um ein Thema nationaler Sicherheit.

Das Ergebnis sind Verbote des Handels mit Chips zwischen einigen Ländern und Unternehmen. Andere Länder wiederum investieren gezielt in die inländische Produktion, die mit den führenden asiatischen Produktionsländern – vor allem Taiwan – mithalten soll.

Halbleiterpläne von Joe Biden

US-Präsident Joe Biden will im Rahmen seines Infrastrukturprogramms 50 Milliarden US-Dollar für diesen Zweck bereitstellen. Der Halbleiterhersteller Intel will 20 Milliarden US-Dollar in neue Fabriken in Arizona investieren. TSMC und Samsung planen, für mehrere Milliarden US-Dollar ihre Produktionskapazitäten in den US-Bundesstaaten Arizona und Texas auszubauen.

Auch die Europäische Union möchte mit ihren Pandemiehilfen eine Verdopplung der Halbleiterproduktion bis zum Jahr 2030 erreichen. Südkorea hat gerade 450 Milliarden US-Dollar für die Herstellung modernster Chips eingeplant und Indien bietet Unternehmen mehr als eine Milliarde US-Dollar, wenn sie vor Ort Halbleiterfabriken bauen. Auch in China ist die Halbleiterherstellung ein wichtiger Teil des neuen Fünf-Jahres-Plans.

Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette

„All dies dürfte die Halbleiterbranche massiv verändern“, sagt Boon. Erstmals seit vielen Jahren hätten die Hersteller echte Preismacht. Die wichtigste Veränderung sei aber, dass der Markt immer unabhängiger von der Konjunktur wird. Strukturelle Entwicklungen werden wichtiger. Halbleiteraktien defensiver.

Da sich die Chipnachfrage nicht mehr nur auf die Computer- und Automobilproduktion beschränkt, nimmt die Konjunktursensitivität ab. Hinzu kommt das veränderte Verbraucherverhalten: Früher war Apple das einzige Unternehmen, das mehrjährige Lieferverträge für Chips abschloss. Heute wird das angesichts der höheren Nachfrage zur Regel. „Man sollte sich vor Augen halten, dass diese Veränderungen nicht nur die Halbleiterbranche und ihre Kunden betreffen. Sie werden Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette für die Chips haben“, erklärt Boon.

Gewinner der Digitalisierung

Um Halbleiter herzustellen, werden Spezialgeräte benötigt, wie etwa die Lithografie-Technik von ASML und die Technologie von Lam Research für das Ätzen, Abscheiden und Reinigen von Halbleiter-Wafern. Für die Chip-Produktion ist außerdem spezielle Software nötig. Softwarehäuser wie Cadence Design Systems, Synopsys und Siemens Mentor Graphics konzentrieren sich daher auf die Electronic Design Automation (EDA) für diese immer komplexer werdende Arbeit mit den Halbleitern. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der erwähnten Investitionen solchen Firmen zugutekommt.

„Weil nichts auf ewig die Schlagzeilen beherrscht, wird auch die Halbleiterknappheit irgendwann in den Hintergrund rücken“, sagt Boon. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass es sich bei diesem Thema um ein vorübergehendes Phänomen handelt. „Der Chipmangel resultiert nicht aus einer kurzfristigen Angebotsknappheit, sondern ist die Folge einer raschen Digitalisierung und der Weltpolitik. Der wachsende Kapitalbedarf entlang der gesamten Wertschöpfungskette darf als eines der interessantesten Investmentthemen von heute gesehen werden“, meint Boon.

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