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in Nachhaltigkeit, ESG & SRILesedauer: 6 Minuten

Interview mit Jakob Thomä „Nachhaltigkeitspotenzial nicht nur im Supermarkt-Regal, sondern auch bei Kapitalanlagen sehen“

Die Konsumenten sind gefragt, ob beim Lebensmitteleinkauf oder bei der Kapitalanlage
Die Konsumenten sind gefragt, ob beim Lebensmitteleinkauf oder bei der Kapitalanlage: „Ich hoffe, dass wir etwas wegkommen von den Erwartungen an die internationale Politik in Sachen Nachhaltigkeit, wie ein mittelalterlicher Ritter das Fräulein zu befreien“, sagt Jakob Thomä | Foto: Imago Images / Westend61

Herr Thomä, wir hören überall von Nachhaltigkeit. Was ist Ihre Beobachtung: Inwieweit sind die Depots von Anlegern nachhaltig?

Jakob Thomä: Insgesamt ist die traurige Realität, dass die Depots von Anlegern wenig nachhaltig sind. A priori verwundert das erstmal nicht. Wir investieren typischerweise in die großen Unternehmen dieser Welt und die haben nun mal oft Dreck am Stecken. Dabei reden wir hier nicht nur von den üblichen Verdächtigen, zum Beispiel im Kohleabbau. Es gibt wohl wenige, die Unternehmen wie Facebook oder Amazon als nachhaltig bezeichnen würden. Selbst die sogenannten ESG-Fonds replizieren oft diese Anlagestrategie und versuchen dabei lediglich – ähnlich wie auf der Titanic – die Stühle auf dem Vordeck zu verschieben. Letztes Jahr machte ein größerer Schweizer ESG-Fonds Schlagzeilen, weil der größte Einzeltitel im Fonds McDonalds war. Insgesamt fließt lediglich ein niedriger zweistelliger Prozentsatz der Investitionen überhaupt in Richtung ESG. Die große Masse ist weiterhin passiv in Mainstream-Fonds unterwegs. Das zeigt nicht zuletzt auch unsere Plattform www.meinfairmoegen.de, wo man genau sieht, wie es um das Nachhaltigkeitsprofil von Fonds bestellt ist.

Wir wissen, dass im Bereich Nachhaltigkeit mehr getan werden muss. Wie lässt sich ein höherer Prozentsatz an nachhaltigen Portfolios erreichen?

Thomä: Wichtig ist jetzt, dass die neuen Regeln in der Bankberatung auch richtig greifen und der Markt diese ordentlich annimmt. Dabei soll es verpflichtend werden, Anleger nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen zu fragen und diese auch umzusetzen. Das könnte schon viel bewegen. Die Gefahr ist natürlich, dass dieser Prozess zum Dienst nach Vorschrift wird und statt wirklich auf die Anlageziele einzugehen, ESG-Fonds von der Stange vermarktet werden. Das würde dem Markt, glaube ich, nicht gerecht werden. Wir sehen in unseren Umfragen und Fokus-Gruppen, dass es eine große Diversität an Nachhaltigkeitszielen unter Anlegern gibt. Für manche ist das Thema Umwelt und Klima im Vordergrund, andere setzen eher auf soziale Themen wie gerechte Arbeitsbedingungen, wiederum andere wollen – oft aus religiösen Gründen – Drogen, Alkohol und Spiel meiden. Da tut es ein Fonds von der Stange einfach nicht.

Auf der anderen Seite ist es aber natürlich auch wichtig, dass Anleger insgesamt aufgeklärter mit ihren Finanzen umgehen und das Nachhaltigkeitspotenzial ihrer Entscheidungen nicht nur im Supermarkt-Regal, sondern auch in ihren Anlagen sehen. Das kann nicht nur Aufgabe der Beratung sein, da muss auch mehr eigenes Engagement kommen.

Könnten die Entscheidungen der Klimakonferenz in Glasgow einen Einfluss auf die Akzeptanz der Anleger im Hinblick auf nachhaltige Anlagen haben?

Thomä: Ehrlich gesagt – ohne ketzerisch klingen zu wollen – ich hoffe es nicht. Wir können, wenn es um Nachhaltigkeit geht, nicht immer wieder in ein Event-Fetischismus verfallen, bei der kurz das Scheinwerferlicht auf Nachhaltigkeit fällt, um dann die nächste Sau durch das Dorf zu jagen. Wir sind aber schon besser geworden, denke ich, gerade beim Thema Klimawandel. Natürlich ist Glasgow wichtig und ich freue mich über die Aufmerksamkeit. Ein starkes Signal aus Glasgow ist sicherlich auch ein Signal für uns alle, im Alltag und für die Anlagen. Aber ich hoffe, dass wir etwas wegkommen von den Erwartungen an die internationale Politik, wie ein mittelalterlicher Ritter das Fräulein zu befreien. Die Politik muss handeln. Wir aber auch. Und Plattformen wie www.meinfairmoegen.de sind genau dazu da, den Alltag nachhaltigen Investierens und Handelns von Anlegern zu begleiten.

Sie sind mit der Plattform MeinFairMögen seit gut einem Jahr am Markt und mit dem Angebot ein echter Vorreiter. Wie kommt Ihre Dienstleistung bei den Nutzern an?

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Thomä: Also, wir sind überwältigt vom Anklang. Man baut diese Ideen ja oft etwas ins Blaue und gerade unsere Plattform ist ein wenig anders, da wir kein kommerzieller Dienstleister sind. Wir haben nicht die riesigen Marketing-Budgets zur Verfügung, wie große Häuser. Aber ich glaube, dass genau das gut bei den Nutzern ankommt. Wir haben keine versteckten Interessen. Bei uns kann man nichts kaufen, sondern sich unabhängig informieren. Ob es darum geht, einfach mal das Nachhaltigkeitsprofil seiner Fonds zu testen oder Fonds zu finden, die bestimmte Nachhaltigkeitskriterien entsprechen – so eine unabhängige Marktübersicht findet man nirgendwo sonst im Markt, zumindest nicht in der Tiefe und ohne Vertriebsarm.

Beliebt ist auch unser Fragebogen. Den kann man ausgefüllt an seine Bankberaterin oder seinen Bankberater schicken und damit einfach festlegen, wo die Nachhaltigkeitsreise hingehen soll. Dabei kann man auch eine rote Linie festlegen, was man nicht möchte. Wir wissen auch, dass mehr und mehr Bankberater und Beraterinnen unsere Plattform schätzen. Denn sie gibt ihnen die Möglichkeit, sich tiefgehender zu informieren und ihre Kunden dadurch besser zu beraten. Natürlich gibt es auch solche, die von der Transparenz eingeschüchtert sind. Da braucht es einfach noch mehr Mut.

Sie weisen Anbieter auf Missstände hin. Wie reagieren die Vermögensverwalter darauf? Gibt es mitunter Fälle, in denen bereut wird, nicht mehr getan zu haben?

Thomä: Erlauben Sie mir ein Schmunzeln. Wir sind ja nicht die katholische Kirche, zum Glück. Bei uns geht es nicht zur Beichte und man muss auch keine Reue zeigen. Es geht auch nicht darum mit der Plattform irgendjemanden zu blamieren. Wir wollen einfach aufklären – Anleger und auch Vermögensverwalter. Wir haben tatsächlich auch Beispiele, wo unsere Plattform Vermögensverwaltern geholfen hat, bestimmte Nachhaltigkeitsdefizite zu entdecken – und zu beheben. Aber dabei geht es um einen konstruktiven Dialog. Nicht alle Fonds müssen alle Nachhaltigkeitsaspekte zu 100 Prozent berücksichtigen. Das ist auch in Ordnung, wenn man Prioritäten setzt.

Aber man muss auch ehrlich sein, es gibt nicht nur eine Wahrheit, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Deswegen zeigen wir auf der Plattform auch unterschiedliche Datenpunkte, die eher als Mosaik arbeiten. Genau das ist jedoch oft das Frustrierende im Dialog mit den Nutzern. Es gibt solche, die unsere Plattform ablehnen, weil wir nicht voll und ganz deren Nachhaltigkeitsbegriff akzeptieren, sondern unterschiedliche Perspektiven zeigen, die sich manchmal widersprechen. Je nach Blickwinkel gibt es Nachhaltigkeitsfonds, die bei bestimmten Themen nicht so gut abschneiden. So einen Fundamentalismus bin ich sonst nur von NGOs gewöhnt, bei Vermögensverwaltern verwundert das schon. Es ist aber nun mal etwas anderes als beispielsweise bei Finanzdaten. Bei denen kann man oft schwarz auf weiß eine Wahrheit ablesen. Bei Nachhaltigkeit ist das nicht so und das Bewusstsein dafür muss noch ein bisschen wachsen.

Zuletzt bitte noch ein kleiner Ausblick. Mit mehr als 8.000 Fonds in der Datenbank und bereits 20.0000 Besuchern seit dem Launch im vergangenen Jahr hat sich MeinFairMögen in seinem Marktsegment einen Namen gemacht. Was ist perspektivisch als nächstes geplant?

Thomä: Es klafft noch eine Lücke zwischen der Plattform und der Umsetzung. Wir wollen es für Nutzer noch einfacher machen, ihre Nachhaltigkeitsziele umzusetzen, ohne dabei unsere Unabhängigkeit und nicht-kommerziellen Charakter aufzugeben. Ein ganz wichtiger Punkt dabei ist die Möglichkeit, durch das Stimmverhalten Unternehmen zu verändern. Das wollen wir verstärkt in den Mittelpunkt stellen. Über 80 Prozent der Stimmen bei der letzten Bundestagswahl gingen an Parteien, die Klimaziele akzeptieren. Aber bei Abstimmungen auf Aktionärsversammlungen bekommen viele Klimaresolutionen gerade einmal 20 bis 30 Prozent. Das muss sich ändern. Wir müssen an ein Punkt kommen, wo es genauso einfach ist, mit seinen Aktien für nachhaltige Strategien abzustimmen, wie bei Rewe Bananen zu kaufen.

Auf der anderen Seite wollen wir Vermögensverwalter stärker unterstützen: Noch mehr Daten und mehr Möglichkeiten, die Nachhaltigkeitskomponenten zu reflektieren. Das ist enorm wichtig. Dialog heißt eben nicht, nur eine Seite zu zeigen – die Portfolios – sondern eben auch die Nachhaltigkeitsstrategie, die dahintersteckt. Die ist mindestens ebenso so wichtig.

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