LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche
in NewsLesedauer: 6 Minuten

Marktturbulenzen Ukraine-Invasion: Wie es jetzt an den Märkten weitergeht

Kursverluste von Dax-Unternehmen am 24. Februar
Kursverluste von Dax-Unternehmen am 24. Februar: Investor:innen warten auf mehr Klarheit | Foto: Imago Images / Roman Möbius

Der Schock über den russischen Angriff der Ukraine sitzt noch immer tief, die Unsicherheiten sind groß. Und daran dürfte sich kurzfristig auch nichts ändern, wie Marco Willner, Head of Investment Strategy, und Marcin Adamczyk, Head of Emerging Market Debt bei NN Investment Partners, schreiben: „Der Spielraum für eine schnelle Deeskalation ist in den kommenden Tagen begrenzt. Darüber hinaus besteht große Ungewissheit darüber, ob die Militäraktionen wie im Georgienkonflikt 2008 von kurzer Dauer sein werden oder ob sie sich über Monate oder sogar länger hinziehen könnten.“

Russland sei auf einen anhaltenden Konflikt vorbereitet, da es in den vergangenen fünf Jahren Devisenreserven in Höhe von 240 Milliarden US-Dollar angehäuft und seine gesamtwirtschaftlichen Ungleichgewichte verringert habe.

Marktteilnehmer warten auf mehr Klarheit

Die Märkte warten derweil auf mehr Klarheit über das Ausmaß der westlichen Sanktionen sowie mögliche Gegenmaßnahmen Russlands, schreibt DWS-Chefanlagestratege Stefan Kreuzkamp. „Die Marktdynamik nach unten könnte sich verstärken, wenn bestimmte Risikolimits bei institutionellen Anlegern ausgelöst werden oder wenn Kleinanleger in Panik geraten.“ Gleichzeitig lehre die Historie, dass solche Tage kein guter Zeitpunkt für Verkäufe sind.

Nehmen die Fragezeichen ab, könnten auch die Aktienkurse wieder steigen, erläutert Aaron Anderson, Senior Vice President of Research bei Grüner Fisher Investments. „Die Geschichte zeigt, dass die Märkte insbesondere dann schwanken, wenn die Ungewissheit über einen Konflikt zunimmt.“ Sobald sich der Ausgang abzeichne, erholten sich die Märkte normalerweise. „Wenn es zu einem offenen Konflikt kommt, steigen Aktien in der Regel in der Folgezeit an – nicht, weil die Märkte Krieg befürworten, sondern weil sie das potenzielle Ausmaß und die Auswirkungen des aktuellen Konflikts besser einschätzen und so Ängste und Ungewissheiten überwinden können.“

Rohstoffpreise stark gestiegen

Besonders stark im Fokus steht aktuell der Rohstoffsektor. Das gilt insbesondere für den Energiebereich. „Bisher wurden noch keine Sanktionen direkt gegen Rohstoffexporte Russlands verhängt. Allerdings liegen diese Optionen auf dem Tisch. Besonders betroffen wären neben Öl und Gas auch Industriemetalle und Agrarrohstoffe“, schreibt Gabor Vogel, Analyst der DZ Bank. Zuletzt sind die Preise deutlich gestiegen (siehe Grafik).

Grafik: Rohstoffpreisentwicklung in den vergangenen vier Wochen

 

Die Öl- und Gasnotierungen sind laut Vogel ein „Spielball der aktuellen Nachrichtenlage rund um die begonnene russische Invasion in die Ukraine“. Auf diese weitere militärische Eskalation werde der Westen mit schärferen Sanktionen reagieren. „Energieträger und Rohstoffe insgesamt sind bisher direkt ausgenommen. Ob das so bleiben wird, bezweifeln einige Marktteilnehmer und hängt stark vom Fortgang der militärischen Auseinandersetzung ab“, so Vogel.

Eine weitere Sorge des Rohstoffmarktes sei eine Drosselung der Öl- oder Gaslieferungen Russlands – also der Einsatz von Öl als „militärisches“ Instrument. Das sei bisher noch nicht passiert und auch nicht zu erwarten. „Der Ölpreis übersprang aber wegen dieser Befürchtungen sehr zügig die Marke von 100 US-Dollar“, sagt Vogel. „Obwohl die USA jetzt wohl nochmals die strategischen Ölreserven anzapfen werden, wird das den Ölmarkt vorerst nicht beruhigen können. Der Ölpreis kann also weiter überschießen und in unserem Eskalations-Szenario sogar auf 120 US-Dollar steigen.“

Energieversorgung in Europa nicht gefährdet

Laut Aaron Anderson werden „die Sanktionen der USA, des Vereinigten Königreichs und der EU – einschließlich des Stopps der Nord Stream 2-Pipeline durch Deutschland – zu einer weiterhin angespannten Energieversorgung in Europa beitragen“. Die Märkte haben jedoch Monate Zeit gehabt, sich auf diese – und andere potenzielle Verwerfungen – vorzubereiten. Aus seiner Sicht sollten höhere Energiepreise schließlich zu einer verstärkten Versorgung aus nicht-russischen Quellen führen.

1.200% Rendite in 20 Jahren?

Die besten ETFs und Fonds, aktuelle News und exklusive Personalien erhalten Sie in unserem Newsletter „DAS INVESTMENT Daily“. Kostenlos und direkt in Ihr Postfach.

Marco Willner und Marcin Adamczyk sind hinsichtlich der Energieversorgung ebenfalls optimistisch: „In den kommenden Monaten könnte sich die Energiekrise entspannen. Zusätzliche Öl- und Gasreserven aus anderen Ländern wie den USA und dem Iran werden verfügbar und die Wintersaison endet.“

Die anfänglichen wirtschaftlichen Schocks dürften aus ihrer Sicht den derzeitigen Aufschwung in Europa dämpfen und einen beträchtlichen Inflationsdruck erzeugen. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es aber noch zu früh, um zu sagen, was die steigende Inflation für die Geld- und Finanzpolitik sowie für das Verbrauchervertrauen in den kommenden Quartalen bedeuten wird. „Ein langsamerer Zinserhöhungszyklus, insbesondere in der Eurozone, ist eine der Optionen“, so Willner und Adamczyk.

Weniger zuversichtlich zeigt sich mit Blick auf die konjunkturellen Auswirkungen des Kriegs in Europa Edgar Walk, Chefvolkswirt von Metzler Asset Management: „Es ist mit einem Schock des europäischen Unternehmens- und Verbrauchervertrauens zu rechnen. Die europäische Wirtschaft dürfte somit in den kommenden Monaten einen Abschwung erleiden.“  

Keine schwere Rezession zu erwarten

Gegen eine schwere Rezession und für eine Erholung im zweiten Halbjahr sprächen laut Walk jedoch die umfassenden staatlichen Konjunkturprogramme infolge der EU-Finanzhilfen und das Abebben der Pandemie. Die US-Wirtschaft dürfte aus seiner Sicht kaum betroffen sein, da die USA nicht mehr abhängig von Energieimporten sind. „Insgesamt ist also mit einem Umfeld hoher Volatilität an den Aktienmärkten und steigenden Rohstoffpreisen zu rechnen.“

Aufgrund der hohen Inflation werden die EZB und die US-Notenbank die Finanzmärkte nicht mit üppiger Liquidität fluten und deutlich zurückhaltender sein als in der Vergangenheit, prognostiziert Walk. „Sie werden jedoch dafür sorgen, dass die Finanzmärkte funktionsfähig bleiben. Daher dürften die Renditen von Staatsanleihen nur begrenzt fallen.“

Am Aktienmarkt dürfte die Unsicherheit zunächst hoch bleiben. „Russische Assets werden höchstwahrscheinlich noch länger von den anstehenden Sanktionen betroffen sein“, vermuten Willner und Adamczyk. „Die Wendepunkte für die breiteren Märkte werden durch den Verlauf der Militäraktionen und die Reaktion der politischen Entscheidungsträger auf die Krise bestimmt werden.“

Anleger:innen sollten die Ruhe bewahren

Die Herausforderngen für Anleger sind angesichts der unklaren Nachrichtenlage also groß. „Die Volatilität an den Märkten dürfte in den kommenden Tagen hoch bleiben, da der Nebel der Unsicherheit über den Entwicklungen schwebt. Kurzfristig sind weitere Kursrückgänge denkbar, denn für einige Unternehmen hierzulande sind die Handelsbeziehungen zu Russland und der Ukraine durchaus relevant“, schreibt Christian Kahler, Chefanlagestratege der DZ Bank. „Zudem könnten verschiedene markttechnische Besonderheiten, einschließlich des Risikomanagements institutioneller Anleger, Kursbewegungen beeinflussen. Sichere Häfen wie Anleihen werden vorerst gefragt bleiben, da die Aktienmärkte als Risikomärkte immer zuerst unter der Flucht der Käufer leiden.“

Anleger:innen rät Kahler dazu, ruhig zu bleiben: „Trotz aller Unwägbarkeiten: Für Anleger mit einem gut und idealerweise global diversifizierten Portfolio ist es jetzt ratsam, Ruhe zu bewahren und den Reflex, in großem Stile zu verkaufen, unter Kontrolle zu halten.“ Eine Anlagestrategie solle immer auf lange Sicht, auf viele Jahre, ausgerichtet sein. Und wenn man sich die vergangene Krisen und Kriege anschaue, habe es sich langfristig immer ausgezahlt, über die Sorgen der kommenden zwei oder drei Monate hinwegzusehen und langfristig zu planen.

Lest auch:

Öl, Gold, Vola, Alternatives: ETFs und Fonds gegen den Putin-Crash

Was der Russland-Ukraine-Konflikt für die Märkte bedeutet und wo sich Chancen bieten

Ukrainekrise: „Russland ist dazu verdammt, Rohstofflieferant zu bleiben“

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen
Tipps der Redaktion