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Günstige Bewertung, hohe Renditechancen? Warum Schnäppchen an der Börse teuer werden können

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Höher bewertete Unternehmen mit stärkerer Performance

Um das Phänomen insgesamt besser verstehen zu können, haben wir nun die Strategie umgekehrt. Statt die Schnäppchen zu kaufen, setzten wir in einem zweiten Durchlauf auf die Aktien, die relativ zu ihrer eigenen Historie besonders teuer erschienen. Das Ergebnis hat uns mehr als überrascht. Wir hätten wiederum eine Wertentwicklung in der Nähe der Benchmark erwartet; stattdessen zeigte sich insbesondere ab dem Jahr 2015 eine signifikante Outperformance.

Zeitlich fällt der Beginn der Outperformance perfekt mit dem Beginn des europäischen Anleihekaufprogramms zusammen. Im Gegensatz zum ersten Backtest ist hier ab 2015 in der rollierenden Jahresrate der Strategie ein nahezu kontinuierlich wachsender Vorsprung gegenüber der Benchmark zu beobachten. Auch der Zusammenhang der aktiven Rendite mit dem Konjunkturzyklus scheint weitgehend aufgelöst. Insbesondere ab 2015 ist hier kaum noch ein Zusammenhang zu erkennen.

Die Ergebnisse mahnen – so zumindest unsere Interpretation – zu großer Demut. Offensichtlich sind Unternehmen, die im Zeitverlauf günstiger bewertet wurden, zu Recht günstiger bewertet worden. Denn in der Folgezeit holen sie diese Unterbewertung im Durchschnitt nicht mehr auf. Und Unternehmen, die im Zeitverlauf vom Markt immer teurer bewertet wurden, sind ebenfalls nicht von einem zufälligen Prozess bevorteilt worden. Vielmehr gab es offensichtlich gute Gründe, diese Unternehmen im Zeitverlauf anders einzuschätzen, denn auch hier fand in der Zeit danach keine im Durchschnitt zu erwartende mean reversion statt. Ganz im Gegenteil. Für Unternehmen, die zuvor teurer geworden waren, setzt sich offensichtlich dieser Trend im Durchschnitt nach dem Kauf fort.

Es scheint, als wenn der Markt ein feines Gespür für die Qualität von Unternehmen besitzt. Fallende Qualität wird abgestraft, sich verbessernde Qualität wird mit ansteigenden Bewertungen belohnt. Aus dieser Perspektive sind fallende Bewertungen eines Unternehmens ein Warnsignal und eben kein Schnäppchenindikator!

Demgegenüber sind steigende Bewertungen ein starker Hinweisgeber für unternehmerische Chancen, die sich aus einer erhöhten Qualität und Substanz des Unternehmens ergeben. Nicht ohne Grund weist das Portfolio mit den vermeintlich zu teuren Aktien nicht nur eine bessere Performance auf, sondern hat – entgegen dem, was viele Lehrbücher postulieren würden – auch noch attraktivere Risikoeigenschaften. Die Volatilität und der VAR sind besser als in der Benchmark!

Welche Rolle spielen Sektoren und Geldpolitik?

Die Ergebnisse sind so frappierend, dass nach Gründen gesucht werden muss, warum hier vielleicht eine Fehlinterpretation vorliegen könnte. Ein „Denkfehler“ könnte darin bestehen, sektorale Effekte nicht zu berücksichtigen. So haben Technologiewerte in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte Rallye vollzogen; gerade sie weisen aber die Eigenschaft auf, eher teuer zu sein und im Zeitverlauf noch teurer zu werden.

Wenn nun das im Backtest erstellte Strategieportfolio primär aus Technologiewerten bestände, könnten die Aussagen vermutlich nicht mehr verallgemeinert werden, da sie primär durch sektorspezifische Effekte getrieben wurden. Das ist aber nicht der Fall. Der Backtest ist so aufgebaut, dass zu jedem Umschichtungszeitpunkt genau die besten sechs Prozent aller Aktien aus einem Sektor gekauft werden. Durch diese Vorgehensweise ist das resultierende Portfolio hochgradig diversifiziert und in der Sektorstruktur vergleichsweise nahe an Benchmark. Da aber die Aktien im Backtest zum Umschichtungszeitpunkt immer gleichgewichtet und nicht entsprechend der Marktkapitalisierung gewichtet sind, lag gerade die Gewichtung des Technologiesektors sogar eher unter dem Benchmarkgewicht. Mit Sektoreffekten kann das Ergebnis daher nicht erklärt werden.

Ein besserer Erklärungsansatz wäre vermutlich die sehr expansive Geldpolitik der EZB, die ab März 2015 durch die Auflage von Anleihekaufprogrammen einen zusätzlichen Schub verliehen bekommen hat. Grundsätzlich tun sich Investoren schwer damit, Aktien mit steigenden Bewertungsrelationen zu kaufen. Mit tiefen Zinsen fällt jedoch der Grund für diese Zurückhaltung zunehmend weg, denn bei tiefen Zinsen steigt der Barwert zukünftiger Gewinne stark an, so dass höhere Bewertungsrelationen zunehmend plausibel erscheinen. Das mag zum Teil erklären, warum die zweite von uns getestete Strategie just in dem Moment beginnt besonders gut zu performen, in dem die EZB mit dem Kauf von Anleihen beginnt.

Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass auf absehbare Zeit eine Kursänderung in der Geld- und Zinspolitik erfolgt. Solange die Zinsen nahe bei null Prozent liegen, werden Investoren sehr gerne bereit sein, sich verbessernde Aussichten auf zukünftige Gewinne mit deutlichen Bewertungsaufschlägen zu versehen. Wer dann diese Unternehmen aufgrund der hohen Bewertung verkauft, verkauft auch die Unternehmen mit den besten Gewinnaussichten und verzichtet auf zukünftige Performance.

Insgesamt zeigen unsere Berechnungen schon seit längerer Zeit, dass es zunehmend sinnlos ist, als Einzelinvestor beim Thema Bewertung schlauer sein zu wollen als der Gesamtmarkt. Vieles spricht dafür, sich auf Themen wie Bilanzqualität, Profitabilität, Gewinnwachstum, wettbewerbliches Umfeld und die Qualität des Managements zu konzentrieren. Beim Thema Bewertung verbrennt man sich dagegen zu oft und zu leicht die Finger.

Über den Autor

Dr. Christian Jasperneite studierte an der Universität Passau VWL und promovierte anschließend an der Universität Passau am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Harvard University begann er im Jahr 2000 als Analyst im Makro-Research von M.M.Warburg & CO. Seit Anfang 2009 ist Dr. Jasperneite Chief Investment Officer bei M.M.Warburg & CO und verantwortet dort u.a. Fragen der strategischen und taktischen Allokation sowie der Portfoliokonstruktion und der Produktentwicklung.

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