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Aktualisiert am 18.06.2020 - 13:37 Uhrin Artikel aus der fondsLesedauer: 7 Minuten

Weltwirtschaft am Tropf Fünf wichtige Fragen und Antworten für Anleiheinvestoren

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  1. Sollte man Schwellenländer komplett meiden?

Wir sehen die Schwellenmärkte tatsächlich kritisch. Viele dieser Länder haben mit dem starken Dollar, den sinkenden Rohstoffpreisen und dem schwächeren Wachstum in China zu kämpfen. Außerdem verfügen sie nicht über die gleiche Infrastruktur wie der Westen, um die negativen Folgen der Covid-19-Pandemie zu bewältigen. Über einen Schuldenerlass für die ärmsten Schwellenländer wird weiter diskutiert, und wir denken, dass dies zunehmend Sorgen bereiten wird.

Ein weiterer großer Sorgenfaktor für die Schwellenländer ist der komplett zum Erliegen gekommene Tourismus. Der Tourismus hat einen Anteil von rund 10 Prozent am globalen BIP. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 dauerte es sieben Jahre, bis die Airline-Industrie und die Reiseausgaben wieder auf das Niveau zurückkehrten, auf dem sie sich in der Spitze vor diesem Schock bewegt hatten. Wie sehr sich die Konsumgewohnheiten durch die Corona-Krise geändert haben, lässt sich noch nicht sagen. Auch Vergleiche mit einem Ereignis wie 9/11 sind schwierig, aber der Einbruch des Tourismus dürfte die Schwellenländer und die Weltwirtschaft insgesamt noch einige Zeit belasten.

In unserer Strategie sind die Schwellenländer mit rund 10 Prozent gewichtet. Wir halten eine mit 1 Prozent gewichtete Short-Position in Schwellenländeranleihen über CDS. Aufgrund der hohen Abhängigkeit der ägyptischen Wirtschaft vom Tourismus haben wir unsere Allokation in ägyptischen Staatsanleihen in lokaler Währung zurückgefahren. In den Schwellenmärkten legen wir den Fokus auf Themen, die auch während der aktuellen Krise Bestand haben dürften. Unser Ausblick für die Anleihen von Proteinproduzenten ist weiterhin sehr konstruktiv – die globale Nachfrage nach Rindfleisch und Geflügel von Produzenten in Ländern wie Brasilien ist unverändert hoch. Außerdem haben wir ein gewisses Exposure in US-Dollar-Staatsanleihen von Schwellenländern mit kürzerer Duration, zum Beispiel in der Ukraine, wo wir mit finanzieller Unterstützung durch den IWF rechnen.

  1. Könnte es – vor allem angesichts der aggressiven geld- und fiskalpolitischen Stimulusmaßnahmen – zu einer Rückkehr der Inflation kommen, wenn sich die Pandemie-Situation entspannt und die Lockdowns enden?

Wir werten die enormen Rettungspakete weniger als direkte Stimulusmaßnahmen und eher als Versuche, Produktionsausfälle in einer stillstehenden Wirtschaft zu kompensieren: Die Weltwirtschaft hängt am Tropf.

Diese Maßnahmen haben zwar geholfen, die Märkte zu beruhigen. Wir sind aber überzeugt, dass der enorme, virusbedingte Angebots- und Nachfrageschock in den kommenden Monaten unweigerlich zu mehr Zahlungsausfällen von Unternehmen, Zahlungsrückständen bei Verbraucherkrediten und einer Verschärfung der Arbeitslosigkeit führen wird. Mit Lockerung der Lockdown-Maßnahmen könnte die Wirtschaftsaktivität wieder anziehen, wenn die Verbraucher aufgeschobene Käufe tätigen und auch wieder Cafés und Restaurants besuchen. Wir glauben aber nicht, dass diese Effekte ausreichend stark sein werden, um zu einer deutlich höheren Inflation zu führen. Angesichts der sich verschlechternden Beschäftigungssituation und des Risikos einer zweiten Infektionswelle dürften sowohl die Verbraucher als auch die Unternehmen mehr sparen und weniger ausgeben, was per se deflationär wirkt.

Darüber hinaus müssen die Managementteams der unter Druck stehenden Unternehmen ihre Betriebs- und Investitionsausgaben senken, um die Liquidität zu sichern und eine Insolvenz zu vermeiden. Mit Anpassung der Kostenstrukturen der Unternehmen an die neuen Gegebenheiten ist auch zunehmend unwahrscheinlich, dass es zu einem Aufwärtsdruck auf die Löhne kommen wird. Falls die Arbeitslosenrate erhöht bleibt und die Beschäftigten wenig oder überhaupt keine Druckmittel haben, wird der Konsum stark nachgeben. Die jüngsten Daten signalisieren dies bereits. In der Regel brauchen Unternehmen, Arbeitskräfte und Verbraucher nach einer Krise lange, um sich zu erholen. Das spricht dafür, dass dieser deflationäre Nachfragerückgang noch einige Zeit anhalten wird.

Da die Regierungen und Zentralbanken weiter signalisieren, dass sie tun werden, „was immer nötig ist“, um die Volkswirtschaften in Gang zu halten, rechnen wir mit weiteren Stimulusmaßnahmen, wenn sich das volle Ausmaß der wirtschaftlichen Schäden im weiteren Jahresverlauf und darüber hinaus erst einmal in den Konjunkturdaten niederschlägt. Die Geldpolitik stößt schon jetzt an ihre Grenzen. Daher könnten die Notenbanken auf breiterer Basis zu unkonventionellen Maßnahmen wie die Zinskurvensteuerung oder Negativzinsen greifen. Letztlich ist sogar der Einsatz von Instrumenten wie der modernen Geldtheorie (Modern Monetary Theory – MMT) oder Helikoptergeld denkbar.

Wir sind überzeugt, dass die deflationären Kräfte kurzfristig die Oberhand haben werden. Auf längere Sicht könnten aber auch potenziell inflationär wirkende Maßnahmen ergriffen werden. Auch das müssen wir im Blick behalten. Falls die Inflation zu einem nennenswerten Sorgenfaktor werden sollte, würden wir unsere flexible Strategie so auszurichten, dass sie in einem derartigen Umfeld gut performen kann. Wir glauben aber, dass dieser Zeitpunkt noch mehrere Jahre in der Zukunft liegt. Bis dahin halten wir angesichts der weiterhin deflationär wirkenden Kräfte – der Überschuldung und der gesellschaftlichen Alterung – eine bedeutende Position in Staatsanleihen mit AAA Rating sowie sehr selektive und defensive Positionen in Unternehmensanleihen.

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