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Klimawandel Preisrally im Emissionshandel

Kohlekraftwerk Scholven in Gelsenkirchen
Kohlekraftwerk Scholven in Gelsenkirchen: Die verschärften Klimaschutzziele der EU spiegeln sich zunehmend im Emissionshandel wider | Foto: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Zu lasch, wirkungslos oder sogar kontraproduktiv: Seit seiner Einführung 2005 begleitet den europäischen Emissionshandel zum Teil harsche Kritik. Nun scheint es jedoch, als könne das zentrale europäische Klimaschutzinstrument zunehmend seine Wirkung entfalten: Der Preis für den Ausstoß einer Tonne Kohlenstoffdioxid oder einer entsprechenden Menge anderer Treibhausgase liegt aktuell bei rund 50 Euro – nachdem er zwischen Mitte 2012 und 2018 nie die Marke von 10 Euro überschritten hatte.

Je teurer ein CO2-Zertifikat, desto kostspieliger ist es für Unternehmen, klimaschädliche Gase in die Luft zu blasen. Dadurch sollen Emittenten motiviert werden, ihre Emissionen zu verringern. Die Idee besteht darin, dass die mit der Einsparung verbundenen Kosten geringer sind als der Erwerb von Zertifikaten. Unter den Emissionshandel fallen Anlagen zur Stromerzeugung und energieintensive Industrien wie die Eisen- und Stahlverarbeitung sowie die Zement-, Glas- und Papierproduktion. 2012 kamen der Luftverkehr und 2013 die chemische Industrie dazu. Insgesamt handelt es sich um rund 11.000 Anlagen und mehrere hundert Flugzeugbetreiber, die für insgesamt rund 40 Prozent der Treibhausgase in Europa verantwortlich sind. 

Wie viele Zertifikate ausgegeben werden, ist durch eine Obergrenze geregelt, die sogenannte Cap. 2021 beträgt diese 1,8 Milliarden Zertifikate. Im letzten Jahr der vierten Handelsperiode 2030 werden es 1,3 Milliarden sein. Die Industriebetriebe erhalten eine bestimmte Anzahl davon kostenlos zugeteilt, während Stromproduzenten sie in aller Regel erwerben müssen. Die Emissionsrechte können frei am Markt gehandelt werden. Daher wird das System auch als Cap and Trade bezeichnet. Ähnlich wie ein Kontrolleur in Bussen und Bahnen sammelt die EU-Kommission jedes Jahr am 30. April die Tickets ein, um sie zu entwerten. Wer keins hat, zahlt eine empfindliche Strafe von 107 Euro pro Tonne CO2. Wer mehr CO2 ausstößt, als er Zertifikate besitzt, muss zukaufen. Wer seine „Verschmutzungsrechte“ nicht komplett benötigt, kann sie zu Geld machen. Damit soll ein finanzieller Anreiz für die Verringerung der Emissionen geschaffen werden.

Warum ist der Preis aber jüngst so deutlich in die Höhe geschossen? Die Kurve begann nach oben zu zeigen, als die EU 2018 eine Reform des Emissionshandels beschloss: Die Zahl der Zertifikate sinkt bis 2030 seither um jährlich 2,2 Prozent, nachdem sie vorher von Jahr zu Jahr nur um 1,74 Prozent abnahm. Daneben hat die Europäische Union jüngst ihre Klimaziele verschärft. Das dürfte wiederum Folgen für den Emissionshandel haben. Im Juli 2021 will die EU-Kommission Vorschläge für ein Gesetzespaket namens „Fit for 55“ vorlegen. Das soll dabei helfen, die Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken – und könnte auch im Emissionshandel zu Verschärfungen führen.

In Erwartung einer steigenden Knappheit am Markt für Emissionszertifikate haben die Preise bereits angezogen. Das lockt zum einen Spekulanten an, zum anderen könnten Unternehmen überschüssige Zertifikate hamstern, statt sie auf den Markt zu bringen. Die Folge sind wiederum anziehende Notierungen. Ähnliche Effekte waren bereits 2018 zu beobachten, als der Preis von 5 auf 25 Euro kletterte.

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Klimaschutz vs. Industrie?

Mark Lewis, Nachhaltigkeitsexperte bei BNP Paribas Asset Management, begrüßt die steigenden Preise. Dank ihr würden mehr und mehr Unternehmen Emissionen drosseln, etwa indem sie fossile Brennstoffe durch erneuerbare Quellen ersetzen. „Letztlich müsse der Emissionspreis so hoch sein, dass die EU das Ziel eines Netto-Ausstoßes von null innerhalb von 30 Jahren erreichen kann“, sagt Lewis. „Ein Preis von 90 Euro je Tonne bis 2030 wäre daher nicht überraschend.“

Viviane Raddatz, Leiterin Klimaschutz und Energiepolitik beim WWF Deutschland, sieht derweil weiteren Reformbedarf. „Der Emissionshandel ist das Zugpferd der europäischen Klimaschutzes in den Sektoren Strom, Industrie und Flugverkehr.“ Allerdings sei er nur in drei von den 15 Jahren seiner Existenz wirksam gewesen. „Für die 2020er-Jahre kommt es nun darauf an, einerseits das Ziel zu verschärfen, andererseits den Überschuss an Zertifikaten schneller und kontinuierlicher zu beseitigen. Sonst wird der Emissionshandel keinen Unterschied machen.“

Anders sieht das die Industrie. „Die Politik muss die CO2-Verteuerung mit Maßnahmen flankieren, die es hiesigen Unternehmen auch zukünftig ermöglichen, in Deutschland zu produzieren und international wettbewerbsfähig zu bleiben“, sagt Peter Feller, stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Standortverlagerungen ins kostengünstigere Ausland würden dem Klima nichts nützen. „Allerdings schaden sie einseitig der inländischen Wirtschaft und gefährden hierzulande Arbeitsplätze.“

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