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Börse und Bundestagswahl, Teil 1 Wie die Bundestagswahl die Kapitalmärkte beeinflussen könnte

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Internationale Entwicklungen dominieren das Geschehen

Christian von Engelbrechten, der bei der Fondsgesellschaft Fidelity den Germany Fund managt, verweist ebenso auf das politische System: „Die politischen Realitäten relativieren vieles, was vor einer Wahl erwartet wurde. Weder die Befürchtungen zu Francois Hollande in Frankreich oder zur ersten rot-grünen Regierung in Deutschland haben sich nachhaltig bewahrheitet.“ Das gelte aus seiner Sicht ganz besonders für Deutschland, da das politische System auf Konsens ausgelegt sei. „Eine Regierung besteht so gut wie immer aus mehreren Parteien, dann muss der Bundesrat bei vielen Entscheidungen mitbestimmen und wir haben auch noch ein starkes Bundesverfassungsgericht“, so der Fondsmanager.

Dass die Bundestagswahl für Kurskapriolen an den Börsen sorgen wird, denkt auch Dr. Götz Albert nicht, CIO und Managing Partner bei Lupus Alpha. Zwar könne die Bundestagswahl kurzfristig zu mehr Volatilität am deutschen Aktienmarkt führen. „Insgesamt bleiben aber die internationalen Entwicklungen hierzulande dominierend. Die politische Weichenstellung ist für uns in Deutschland wichtig, nicht aber für den Rest der Welt.“ Daher sei nur ein geringer Einfluss auf die Kapitalmärkte zu erwarten. „Andere internationale Themen wie die Abkehr von der lockeren Geldpolitik, der Konflikt zwischen China und den USA, die globale Inflation oder die Covid-Fälle weltweit sind wesentlich bedeutender für die Marktentwicklung.“

Wahl wird international kaum wahrgenommen

Damit ist er einer Meinung mit Dr. Hans-Jörg Naumer, Leiter Kapitalmarktanalyse bei Allianz Global Investors. „Die Börse selbst, national wie international, hat von den Bundestagswahlen bisher kaum Kenntnis genommen. Auf internationaler Ebene ist auch kaum zu erwarten, dass es zu größeren Auswirkungen kommt.“ Naumer sagt aber auch: „Negative Reaktionen an den Börsen, die dann auch von internationaler Dimension sein könnten, wären zu erwarten, wenn es zu einem Bündnis käme, das beispielsweise die geostrategische Lage Deutschlands verändert.“ Auszuschließen sei das nicht: „Sowohl der Kandidat der SPD, Olaf Scholz, als auch die Kandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, haben die Aussagen zu einer Koalition mit der Partei Die Linke offengehalten haben. Diese ist für einen Nato-Austritt Deutschlands.“

Regierungsbildung könnte dauern

Tilman Galler, Kapitalmarktstratege im Market Insights-Team von J.P. Morgan Asset Management, verweist auf die grundsätzlich hohe Stabilität in Deutschland. Diese Wahl könnte aus seiner Sicht jedoch anders ausfallen. „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die nächste Bundesregierung erstmals seit 60 Jahren aus einer Dreiparteienkoalition gebildet werden muss.“ Das Finden einer gemeinsamen Basis zwischen drei oder mehr Parteien zur Bildung einer stabilen Regierung werde sicherlich herausfordernd, sagt Galler und verweist auf das Scheitern der Koalitionsgespräche zwischen CDU, FDP und Grünen nach der Wahl 2017. „Dieses Beispiel für die Schwierigkeiten im Verhandlungsprozess zeigt, dass man einen längeren Prozess erwarten sollte, bis die neue Regierung vereidigt werden kann – 2017 dauerte es tatsächlich mehr als fünf Monate, um eine Regierung zu bilden.“

Ob diese Zeit des Abwartens die globalen Märkte beeinflussen kann? „Die Gewichtung deutscher Aktien im MSCI Europe Index liegt bei knapp 15 Prozent und im MSCI World bei knapp 3 Prozent“, erläutert der Kapitalmarktstratege. „Daher sollten die Marktauswirkungen der deutschen Wahlen begrenzt sein.“ Ein deutlicher Wandel der Wirtschaftspolitik in Deutschland könnte sich jedoch längerfristig auf die Investitionsmöglichkeiten in ganz Europa auswirken.

Risiko Linksbündnis

Wenngleich er die direkten Auswirkungen auf den Markt für wahrscheinlich begrenzt hält, könnte aus seiner Sicht jede Koalition „links von der Mitte“, an der die Partei Die Linke beteiligt ist, ein Risiko für die Märkte darstellen. „In diesem Fall wäre zu erwarten, dass sich die deutsche Wirtschaftspolitik dramatisch in Richtung einer umfangreicheren Verteilungspolitik verlagert“, erwartet Galler. „Mit der Linkspartei in der Regierung sind höhere Staatsausgaben, eine Anhebung des Mindestlohns, höhere Steuern und deutlich mehr Regulierung für die Industrie zu erwarten. Dies könnte das mittel- bis langfristige Wohlstands- und Wachstumspotenzial der größten Volkswirtschaft der EU gefährden und bei Aktieninvestoren zu Unbehagen führen.“

Während eine Koalition mit Beteiligung der Linkspartei sicherlich ein Risiko für Deutschland darstelle, stehe die EU einer solchen Regierung wahrscheinlich weniger negativ gegenüber, betont Galler. „Alle drei der ‚Rot-Rot-Grünen‘ Parteien befürworten nachdrücklich eine Fiskalunion und die Fortführung des EU-Wiederaufbaufonds.“

Im zweiten Teil unseres Beitrags zur Bundestagswahl erläutern die Experten, welche Branchen von einem möglichen Politikwechsel besonders betroffen sein könnten.

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