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Chancen im Value-Bereich Steigende Anleiherenditen müssen Aktienanleger nicht verschrecken

Londoner Bankenviertel
Londoner Bankenviertel: Aktien von Finanzunternehmen könnten im aktuellen Marktumfeld Renditechancen bieten | Foto: IMAGO / agefotostock

Die Experten von J.P. Morgan Asset Management sehen den aktuellen Konjunkturzyklus von einer besonderen Dynamik geprägt: „Wir befinden uns seit über 13 Monaten in der Pandemie, die mit einer wirtschaftlichen Vollbremsung begann. Es folgte eine der schnellsten ökonomischen Erholungen nach einer Krise mit einem Plus von durchschnittlich rund 50 Prozent an den Aktienmärkten weltweit“, betont Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt. Trotz der positiven Perspektiven gebe es unter der Oberfläche jedoch einige Entwicklungen, die Anlegerinnen und Anleger nicht außer Acht lassen sollten. „Der aktuelle Frühzyklus zeigt bereits spätzyklische Bewertungen“, stellt der Kapitalmarktexperte fest. Auf der Aktienseite seien vor allem die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGVs) von Wachstumswerten stark erhöht, auf der Anleiheseite lägen die Risikoprämien deutlich unter dem Durchschnitt. Das bedeute für Anleger, dass und künftig ein selektiveres Vorgehen notwendig wird. 

Außergewöhnlich expansive Fiskalpolitik löst einen Wachstumsboom aus

Wesentliches Merkmal eines Frühzyklus ist das starke Wirtschaftswachstum. Für die USA rechnet Galler im Jahr 2021 mit einer Steigerung von bis zu 7 Prozent. In China könnte die Wirtschaft sogar um 8 Prozent wachsen. Das Wachstum in den Industrieländern weltweit ist jedoch in erster Linie von den geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen getrieben. In den USA etwa wurde erst kürzlich ein 1,9 Billionen US-Dollar schweres Konjunktur­programm auf den Weg gebracht, zusätzlich zu dem bereits im Dezember beschlossenen mehr als 900 Milliarden großen Corona-Rettungspaket.

Interessant sei daher, die Entwicklungen in China zu betrachten, da das Land in der Pandemie eine „First-in-first-out“-Rolle innehat. Früher oder später stellt sich für jedes Land die Frage, wie die fiskalischen Anreize zurückgefahren werden können, um die mittel- bis langfristige makro­ökonomische Stabilität nicht zu gefährden. In China sind laut Galler bereits die ersten Maßnahmen zu beobachten. So solle das Fiskaldefizit 2021 nur noch halb so groß sein wie im vergangenen Jahr. Der Konsolidierungskurs hat gleichwohl bereits zu ersten Rückschlägen bei chinesischen Aktien geführt.

In den USA sei ein Zurückfahren der fiskalpolitischen Maßnahmen bislang nicht absehbar. Im Gegenteil: Im Hinblick auf die Kongresswahlen Ende 2022 dürfte die Demokratische Partei alles daran setzen, die Unterstützungsmaßnahmen bis dahin wirken zu lassen, um mit dem Rückenwind einer robusten Konjunktur in diese wichtigen Wahlen zu gehen. Zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren ist laut Galler nun zu beobachten, dass Fiskalausgaben gesteigert würden, selbst wenn die Wirtschaft auf Erholungskurs ist. „Die fiskalischen Maßnahmen haben ihren stabilisierenden Charakter verloren zugunsten von politischen Zielen. Die Gefahr ist nun, dass Fiskalprogramme zu einem Kontinuum werden“, erläutert der Ökonom.

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Aufgestauter Konsum führt zu enormer Nachfrage

Trotz der weiterhin positiven wirtschaftlichen Aussichten insbesondere in den USA, aber auch in Europa, sieht Tilmann Galler einige Entwicklungen, die letztendlich negative Auswirkungen auf Unternehmen haben könnten. Auf der einen Seite sind die Sparquoten der privaten Haushalte enorm hoch (siehe Abbildung 1). „Wenn es das Virus zulässt und sich das öffentliche Leben in den nächsten Monaten sukzessive normalisiert, findet der bisher aufgestaute Konsum den Weg in die Märkte. Für die USA rechnen wir mit einer überschüssigen Konsumnachfrage in Höhe von bis zu rund zwei Billionen US-Dollar“, erklärt Galler.

Auf der anderen Seite können viele US-Unternehmen diese steigende Nachfrage kaum bewältigen – gerade auch, weil Arbeitskräfte aufgrund der umfassenden staatlichen Unterstützungsmaßnahmen nicht gewillt sind, freie Stellen im Niedriglohnsektor anzunehmen. Unternehmen könnten daher gezwungen sein, höhere Löhne zu bieten. Dies würde die Kosten steigern, den Preisauftrieb verstärken und sich negativ auf die Margen auswirken. „Aktuell tritt diese Problematik aufgrund der hohen Umsätze noch kaum in Erscheinung. Doch sollte sich das Umsatzwachstum in den nächsten Quartalen wieder etwas normalisieren, wird die Kostenseite relevanter“, stellt der Ökonom fest. Dies dürfte die Unternehmensgewinne in Zukunft stärker belasten und sich bremsend auf die Aktienmarktentwicklung auswirken.

Abbildung 1: Private Ersparnisse weltweit

Quellen: BEA, Bloomberg, Eurostat, ONS, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management, Stand: 31. März 2021. Überschüssige Ersparnisse der privaten Haushalte sind der Gesamtbetrag, den die Verbraucher im Jahr 2020 gespart haben und der die typischen jährlichen Ersparnisse einer bestimmten Volkswirtschaft übersteigt. 

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